Römische Nymphen und kanadischer Wein

Römische Nymphen und kanadischer Wein

Auf den ersten Blick haben römische Nymphen, kanadischer Wein und womöglich noch Kriegsschiffe diverser Nationen sicher nichts gemein. Die Gemeinsamkeit wird allerdings augenfällig, betrachtet man die jeweiligen Bezeichnungen: es ist in allen Fällen Pomone oder Pomona, der Name einer laut Mythologie außergewöhnlich schönen Nymphe, die als Göttin der gepflegten Feld- und Gartenfrüchte verehrt wurde.

Unter Schiffen, z.B. der Royal British Navy, der französischen und spanischen Kriegsmarine, gibt es tatsächlich einige, die als „Pomone“ die Wellen durchfurchten, was ob der wassergeborenen Herkunft der namensgebenden Nymphe recht naheliegend erscheint.

Was aber hat es mit ausgerechnet kanadischem Wein auf sich? Des Rätsels Lösung liegt im Ideenreichtum und Unternehmergeist einer kanadischen, speziell einer Quebecer Winzerin aus Leidenschaft.

Sylvie Bissonnette stand als Vizepräsidentin für Beratung, Innovation und digitale Transformation bei der Firma CGI weit oben auf der Karriereleiter, als sie sich 2015 zusammen mit ihrem Partner Sylvain Poirier einen seit Jugendtagen gehegten Traum erfüllte: sie kaufte sich Land für einen Weinberg. Fortan würde sie Wein gemäß ihrer eigenen Prinzipien und Vorstellungen produzieren. Zwei Jahre später ließ sie ihren Manager-Job bei CGI komplett hinter sich, um sich mit mehr Zeit und Energie der Herstellung von Weinen und der Erforschung neuer Methoden zu deren Vervollkommnung zu widmen, bis sie nach zähem Ringen mit zuständigen Behörden im Jahr 2018 endlich die offizielle Genehmigung auch für den Verkauf ihrer Weine erhielt. Seither besteht eine enge Zusammenarbeit des Weingutes mit einer Reihe von Händlern, Märkten und noblen Restaurants in Montreal, wobei das prestigeträchtige „Toqué!“ einer der größten Abnehmer ist.

Mit ihrem Lebenspartner und Miteigentümer der Firma, Sylvain Poirier, einem Acker- und Weinbauern mit über 40 Jahren einschlägiger Erfahrung auf seinen 600 ha Land, vier weiteren leitenden Angestellten sowie saisonalen Arbeitern produziert das Weingut rund 66 000 Flaschen mehrfach preisgekrönten Weines aus 32 Rebsorten, hauptsächlich hybride amerikanische, alte französische und kanadische, auf derzeit 16 ha Boden. Anvisiert ist eine Erhöhung der jährlichen Produktion auf 100.000 - 110.000 Flaschen mit einer Aufteilung in 35% Rotwein und 30% Weißwein in unterschiedlichen Klassifikationen. Der Rest besteht aus Rosé und Orange Weinen.

Letztere sind Weißweine, die auf der Maische vergoren werden, sodass sie trüber und wirklich orangefarben aussehen.

Einige Weine lagern zur Reifung fünf Jahre lang in großen Eichen- und Akazienholzfässern (400 l-Fässer für Roten, 500 L-Fässer für Weißen). Die vom Holz während der Lagerung abgegebenen Geschmacksstoffe geben den Weinen das besondere, als sehr angenehm empfundene Aroma, und die poröse Beschaffenheit der Eichenfässer erlaubt einen ebenfalls qualitätssteigernden begrenzten Sauerstoffaustausch. Eine solche Lagerung ist aufwendig und teuer, denn dieses Weingut importiert die Eichenfässer aus Burgund und die Akazienfässer aus Piemont. Daneben stehen auch Fässer aus amerikanischer Eiche, worin besonders kräftige Rotweine sowie weißer Portwein ihrer Reife harren.

Selbstverständlich finden sich auch blitzblanke Stahltanks mit digitaler Temperaturüberwachung im Reifungskeller des Gutes.

Eine Lagerung der besonderen, sehr althergebrachten Art und Weise erfolgt tatsächlich in fünf Amphoren, also Tongefäßen, die sogar in Montreal hergestellt werden und den Wein wie schon zu antiken Zeiten in technikfreier, naturnaher Art reifen lassen. Überhaupt legt man im Weingut großen Wert darauf, dass das meiste, was zu Weinproduktion und Verkauf benötigt wird, nur aus lokalen Quellen stammt, bis hin zum spritzigen, fantasiereichen Design der Etiketten.

Im Moment experimentiert Xavier Spada, Weinbauchef des Gutes, mit der Herstellung von Vermouth, also Wermut, wobei der Weg zum Erfolg über Versuchsreihen und Experimente mit 15 verschiedenen heimischen Kräutern sowie Brombeeren, Erdbeeren und Äpfeln führen soll. Die genaue Zusammensetzung des Gebräus, das bis Ende des Jahres als fertiges Produkt auf den Markt kommen wird, bleibt allerdings streng gehütetes Geheimnis.

Eine weitere Besonderheit aus dem Weingut ist der strikt biologisch produzierte Strohwein „Jura“, auf den Sylvie Bissonnette besonders stolz ist, folgt er doch den Spuren und der Herstellungsweise des berühmten Strohweins aus den Côtes du Jura in Frankreich. Dieser Wein erfordert besondere Sorgfalt und viel manuelle Arbeit in der Ernte wie in der Reifung, was dann in einen bernsteinfarbenen Dessertwein mündet. Speziell für diesen Wein hatte man letzthin 2 Tonnen besonders perfekter Trauben geerntet, die auf Stroh getrocknet bzw. sehr lange am Rebstock belassen werden, sodass die Traube vor der Kelterung an der Luft zu rosinenartiger Beschaffenheit trocknet, wobei ihr in einem üblicherweise rund 3-monatigen Verdunstungsprozess Feuchtigkeit entzogen und der Zuckergehalt konzentriert wird. Dieser besonders hohe Zuckergehalt begünstigt die Entstehung eines schweren Weines mit einem Alkoholgehalt von mindestens 14 Volumenprozent, der lange lagerfähig ist.

In Deutschland übrigens war die Vinifikation von Strohwein aus hygienetechnischen Gründen von 1971 an verboten. Man fürchtete die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Übertragung von im Stroh lebenden Bakterien auf die Trauben, und erst eine neue EU-Weinmarktordnung aus dem Jahr 2009 hob das Verbot wieder auf. Weiterhin untersagt ist in Deutschland allerdings die Bezeichnung „Strohwein“ für das entsprechende Produkt, denn die Österreicher hatten nie irgendwelche Bedenken bei der Vinifikation von Strohwein, dort gern auch Schilfwein genannt, produzierten diesen durchgehend in lange tradierten Verfahren und patentierten schließlich den Namen. Desgleichen die Italiener.

Jedenfalls bescherte das langwierige und arbeitsintensive Herstellungsverfahren den Winzern vom Gut Pomone schließlich 600 Flaschen besten, aromatischen Prädikatsweines.

Die Winzerin ist stolz darauf, dass etwa 80% der Rebenfelder rein biologisch kultiviert werden, was sehr viel manuelle Arbeit verursacht. 20% der Felder werden bei seltenem Bedarf mit chemischen, nicht biologischen Produkten behandelt. Im Gespräch betont Sylvie wiederholt einige Grundsätze ihrer Maximen für die Produktion ihrer Weine, nämlich einen umweltschonenden Anbau zu betreiben, dessen Fokus auf Qualität, nicht auf Quantität liege, und nach immer neuen Wegen der Verbesserung von Feldarbeit, Fermentierung, Lagerung, Vertrieb und Verkauf zu suchen. Schließlich ist es das erklärte Ziel der Eigentümer, zum besten Weingut in Quebec deklariert zu werden. Und man ist auf gutem Wege dahin: Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen wurde Sylvie und Sylvain im Jahr 2023 der L'Ordre national du mérite agricole in Bronze verliehen, also der Bronzeorden für Verdienste um die Landwirtschaft, ausgelobt von der Quebecer Provinzregierung.

Erheblichen Anteil an der hohen Qualität der Weine, die das Gut produziert, hat die außerordentliche Bodenqualität. Das Weingut Vignoble de Pomone liegt im Champlain Valley von Quebec, einer Gegend, die sich durch besonders nährstoffreichen Mutterboden auszeichnet, was auf der geologischen Geschichte beruht:

Vor 12.000 bis 10.000 Jahren, also während der späten Eiszeit, bedeckte die Champlain-See, ein salzhaltiges Gewässer, die Niederungen des St. Lawrence-Flusses zwischen Quebec City und Brockville in Ontario, eine unter dem Gewicht des Gletscher-Eises abgesunkene Landschaft. Dieses Meer hinterließ eine als Leda-Meeres-Tone bezeichnete Sedimentschicht aus Gesteinsmehl mit Quarzen, Amphibolen und Pyroxenen sowie Meersalzrückständen.

In diesem „schwarzen Gold“ von Quebec gedeihe nicht nur Getreide, sondern laut Sylvie auch der Rebstock besonders gut, besser sogar als in der schon länger etablierten Quebecer Weinregion, den Eastern Townships, und auf dem Gut Pomone ist man fest entschlossen, den aus jenen Regionen stammenden, momentan noch bekannteren Weinen baldmöglichst den Rang abzulaufen. Dafür, meint Sylvie, brauche man nicht nur tiefgreifendes, ständig aktualisiertes Fachwissen, sondern auch starke Nerven und Zuversicht, denn die wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Provinz, ja in ganz Kanada, seien alles andere als günstig. Die Finanzierung, beispielsweise, sei ein großer Unsicherheitsfaktor, denn im Gegensatz zu Soja- und Maisbauern, die, bemessen an ihren Erträgen bis zu 75% an Regierungskrediten fürs Wirtschaften im nächsten Jahr bekämen, falle ein solcher bei Weinbauern extrem spärlich aus. Die prekäre finanzielle Lage kombiniert mit steil steigenden Bodenpreisen und anderen Kosten zwinge Viele dazu, einfach aufzugeben: von den 160 Weingütern in Quebec stünden derzeit 20 zum Verkauf und seien schwer absetzbar, denn junge, interessierte Leute könnten sich den Erwerb eines Gutes schlicht nicht leisten.

Aufgeben ist für Sylvie Bissonnette ganz und gar keine Option – im Gegenteil, denn die Winzerin aus Liebe und Leidenschaft hat noch viel vor. Sie und ihr Partner wollen auf der Basis moderner und innovativer Landbautechnologie nicht nur immer bessere Weine produzieren, sie sorgen mit einer starken Verbraucherbindung auch dafür, dass das Gut und seine Produkte quasi in aller Munde bleiben. So lädt man während der Weinlese an zwei Wochenenden die Öffentlichkeit zum Mitmachen ein: man kann bei der Ernte helfen, bekommt Mahlzeiten serviert und kann den Tag mit allen Erntehelfern und Mitarbeitern des Gutes bei einer großen Party ausklingen lassen. Diese und ähnliche Veranstaltungen sind bei Vielen bereits zum alljährlich festen Termin geworden.

Falls man die Pomone-Weine lieber ohne tätiges Mitwirken genießen möchte, kann man dies durchaus an Ort und Stelle auf der überdachten Terrasse des Weingutes neben einem ansprechend angelegten und bepflanzten Teich im Rahmen pauschal arrangierter Weinverkostungen, zu denen man auf Wunsch auch andere strikt regionale Produkte reicht, wie Käse, Gänseleber oder Wurstwaren.

Pomona, die schöne Nymphe, wäre mit Sicherheit sehr angetan vom Wirken auf dem Weingut, das ihren Namen trägt.

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